Donnerstag, 5. März 2009

Double Feature: Milk and The Reader

Am vergangenen Wochenende habe ich zunächst Gus van Sants Milk gesehen, einen Tag später Stephen Daldrys The Reader. Grund genug, die beiden Kinofilme in einem Double Feature zu besprechen und dabei den beiden Hauptdarstellern besondere Beachtung zu schenken, gewannen doch beide für ihre jeweilige Rolle den Oscar.

Sean Penn als älterer Hippie mit langen Haaren und Vollbart - zusammen mit seinem Partner Scott Smith (James Franco) ist Harvey Milk (Penn) gerade nach San Francisco übergesiedelt. Das homosexuelle Paar hofft darauf, im Stadtviertel The Castro mehr Akzeptanz für ihre Beziehung vorzufinden als in New York. Die beiden Männer eröffnen Castro Camera, stoβen jedoch auch hier bald auf Ablehnung und Ressentiments - Milk wird daraufhin mehr und mehr zum politischen Aktivisten. Castro Camera wird zum Zentrum der politischen Gay-Bewegung und Milk selbst stellt sich mehrmals zur Wahl für verschiedene politische Ämter. Er verliert dreimal, steigert allerdings seine Popularität. Seine Beziehung zu Smith zerbricht wegen seiner politischen Kampagnen, doch schlieβlich schafft er es als erster homosexueller Politiker eine Wahl zu gewinnen und wird Supervisor von San Franicisco. In der Folge wird er zur Symbolfigur im Kampf für die Rechte von Homosexuellen in ganz Amerika, dabei bekommt er es mit politischen Gegnern wie dem kalifornischen Senator John Briggs zu tun, der alle Homosexuellen von Lehrberufen fernhalten möchte (Proposition 6, 1978) oder Anita Bryant und ihrer Organisation Save our Children. Beginnend mit Harvey Milks vierzigstem Gebuststag, an dem er sich eingesteht, bisher nichts in seinem Leben erreicht zu haben, erzählt Gus van Sant dessen politische Laufbahn und zeigt immer wieder Originalaufnahmen aus den Sechzigern und Siebzigern, politische Demonstrationen, Aufruhr, Polizeigewalt gegen Homosexuelle.
Sean Penn sieht Harvey Milk nicht nur verblüffend ähnlich, er wirkt in dieser Rolle gleichzeitig energetisch, symphatisch, idealistisch, charismatisch als Politiker, aber auch verletzlich und pendelnd zwischen Ausgelassenheit und Zerstreutheit als Privatmann und Liebhaber. Milk gibt nie auf, auch wenn manch politischer Kampf aussichtslos erscheint oder private Tragödien warten und stellt persönliche Interessen hintenan - so zerbricht auch seine zweite Beziehung zu Jack Lira (Diego Luna), der sich das Leben nimmt.
Man bewundert diese Energie und den Mut des Mannes, der trotz Morddrohung auf die Bühne steigt und eine flammende Rede hält und man ist erschrocken über die Szene seiner unmittelbaren, realistischen Ermordung durch Dan White (Josh Brolin). Sean Penn als Harvey Milk – überzeugend, mitrei βend und mit hohem Identifikationsfaktor: ein verdienter Oscar.

Ähnlich groβe Gefühle erzeugt auch die Romanverfilmung von Bernhard Schlinks Der Vorleser. Der junge Michael Berg (David Kross) trifft die wesentlich ältere Hanna Schmitz (Kate Winslet), die ihm nach Hause hilft, als er krank und hilfesuchend in einem Hauseingang kauert und sich übergibt. Nach monatelanger Bettlägerigkeit besucht er Hanna ein zweites Mal, um Danke zu sagen – beim nächsten Besuch schläft er zum ersten Mal mit ihr, besucht sie in der Folge täglich und es entspinnt sich eine Beziehung rund um Sex und das Vorlesen von literarischen Klassikern. Denn ihre Bedingung an ihren jungen Liebhaber lautet: Er muss ihr vorlesen. Nach einem Sommer ist sie, die S-Bahn-Schaffnerin, die nicht viel redet und sich schwer tut mit engen persönlichen Bindungen, plötzlich ohne ein Wort verschwunden, ihre Wohnung findet Michael leer vor. Jahre später begegnet Michael seiner Jugendliebe wieder: Er ist als Jurastudent Zeuge eines Gerichtsprozesses gegen ehemalige KZ-Aufseherinnen, sie ist eine der Angeklagten. Gequält und gepeinigt verfolgt er den Gerichtsprozess, in deren Verlauf ihm bewusst wird, warum er – und ebenso auch einige KZ-Häftlinge - von Hanna zum vorlesen gebracht wurden.


The Reader erzählt eine Liebesgeschichte, die einen Sommer, eigentlich aber ein ganzes Leben andauert. Zudem beschäftigt er sich mit der Frage nach Schuld und Gerechtigkeit. Nachhaltig im Gedächtnis bleibt die Frage, die Hanna dem Richter verzweifelt entgegenwirft: Was hätten Sie getan? Kate Winslet stellt diese Frage unsicher, wie ihr ganzer Charakter, den sie verkörpert, unsicher und eigenbrötlerisch ist. Sicher und selbstbewusst ist sie nur in den Sexszenen mit Michael, doch schon wenn er sie während ihrer Arbeitszeit in der Tram besucht, reagiert sie unangemessen ruppig und völlig falsch. Zudem scheint ihr moralisches Bewusstsein kaum ausgeprägt zu sein, sie gesteht Verbrechen, die sie nicht alleine zu verantworten hat, um nicht zugeben zu müssen, dass sie nicht lesen und schreiben kann. Winslets Hanna Schmitz ist eine Frau zwischen Erotik und biederer Hausfrauenart, sie kann unbeschwert sein wie ein Kind und dann wieder verschlossen und unzugänglich wie ein Krebs. Kate Winslet spielt diesen widersprüchlichen Charakter sehr überzeugend, mit Mut zu Natürlichkeit, beinahe Hässlichkeit und dennoch ist sie dabei erotischer als die meisten ihrer Hollywoodkolleginnen - deshalb ist der Oscar für diese Rolle absolut verdient.

by TOHBIT

6 Kommentare:

  1. tatsächlich (nach langer zeit mal wieder) 2 wundervolle, tiefgreifende und sehr empfehlenswerte filme.
    vor allem bei lady winslet sprichst du mir aus dem herzen :)

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  2. Also Penn hat den Oscar mit Sicherheit nicht verdient! Der Film war sehenswert, obere Mitterklasse vielleicht, aber auch nicht mehr. Hat mich sogar ein bisschen entäuscht nach der guten Kritik hier...so ich gehe jetzt lieber zu den D5F. ;-)

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  3. Also nur weil der Film nicht mehr als "obere Mittelklasse" ist, heißt das nicht, dass Penn den Oscar nicht verdient hat. Man kann schließlich auch in einem schlechten Film eine gute schauspielerische Leistung zeigen und umgekehrt... zu dem Film selbst bezieht obenstehender Text gar keine Stellung, bewertet wurde allein Sean Penn :-P

    Frage: Wer hat denn den Oscar verdient?

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  4. Super Kritik. Diese Filme sind mehr als sehenswert. Ein winziger Kritikpunkt von mir ist allerdings noch, dass der Schauspieler des jungen Michael Bergs nicht Daniel Kross sondern David Kross heißt; Kleinigkeit.

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  5. Schaut euch mal diese Kritik an http://www.fuenf-filmfreunde.de/2009/02/19/milk-review/ selbst die kritischen Filmfreunde bewerten Milk und vor allem auch Sean Penn sehr positiv.
    @LuBa: David Kross muss es heissen, richtig, aber selbst die Filmfreunde machen Fehler (und verwechseln Josh Brolin mit James Brolin)...

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  6. @ LuBa: danke, ist fixed.
    @ Anonym (kreativer Name übrigens): Auch wenn die D5F cool und interessant sind, heißt nicht, dass ihre Meinung der Maßstaab ist. Ich Lese ihre Sachen auch gerne, bin aber lange nicht mit allem d'accord.

    cheers MUZIKA

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